Herbert-W. Muehroth

                                                                                                              

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                                    Herbert W. Muehlroth

                              


 
HERBERT-WERNER MÜHLROTH

 

                             Die Rückkehr 85


1985, dreieinhalb Jahre nach meiner Flucht, durfte ich zum ersten Mal Rumänien besuchen. Ich hatte die rumänische Staatsbürgerschaft abbezahlt. Bereits ein Jahr davor erging eine Amnestie und meine Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnis wurde aufgehoben.
Meine Freundin T. und ich reisten nicht bei Hatzfeld ein, sondern machten den Umweg über Stamora-Moraviţa, da ich den Zorn der Hatzfelder Grenzsoldaten nicht unnötig schüren wollte, die es wohl als eine persönliche Niederlage ansahen, wenn jemandem die Flucht über die grüne Grenze in ihrem „Zuständig-keitsbereich“ gelungen ist.
Meine Hoffnung, beim Grenzübergang so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen, wurde nach nur kurzer Zeit zerstoben. In Stamora-Moraviţa wußte man sofort, daß ich 1982 über Hatzfeld mit dem Güterzug geflüchtet bin. Wir mußten das Auto an der Seite abstellen und man begann sofort damit, es gründlich zu untersuchen. Teile davon wurden abmontiert, das volle Programm. Dann wurde ich in barschem Tonfall in ein kleines Wärterhäuschen zitiert, während T. kaum beachtet wurde. Der Grenzsoldat stand vor mir und ich mußte die Hände hochnehmen. Eine dritte Person hätte darin keinen Platz mehr gehabt.
Ich hatte mit voller Absicht die gleiche Jacke aus Zeltstoff getragen, mein Freund Petrică hatte diese Jacken extra für sich und mich genäht und wir trugen diese auch bei unserer Flucht. Die Jacke hatte großzügige Brusttaschen, weil wir darin unsere wenigen Sachen verstaut haben, die wir mitgenommen haben. Aus meinen Brusttaschen zog der Grenzsoldat einen Haufen Präservative. Ceauşescu hatte zu dieser Zeit Abtreibungen, ja Verhütung verboten. Der Grenzsoldat fragte mich sodann, was ich mit den Präservativen vorhabe. Ich antwortete, diese seien für meine Freunde, sie hatten mich gebeten, daß ich ihnen welche mitbringe.
Der Grenzsoldat komplimentierte mich unter schweren Vorwürfen wieder hinaus. Ich ging zu dem Wagen, öffnete die Beifahrertür und streckte ihm eine großzügig gepackte Einkaufstüte entgegen, welche Kaffee der Marke Jacobs, eine Zigarettenstange Kent, Milka-Schokolade, Margarine der Marke Rama, Milchpulver und den einen oder anderen

Schein in Valuta enthielt. Immerhin ließ dies den Grenzsoldaten über diese meine antisozialistische Ordnungswidrigkeit mit den Präservativen hinwegsehen. Er nahm die Tüte schweigend an sich und stellte sie zur Seite. Dann trat er brüsk an mich heran und drohte mir mit dem Zeigefinger, den er hin und her wippte:

- Ich hoffe, Du machst keine Dummheiten!
- Habe ich nicht vor, antwortete ich.
- Das will ich hoffen, denn Du weißt, es kann ganz schnell ein Autounfall geschehen!

                               Zeigefinger

Nachdem die Wiedersehensfreude sich gelegt hatte – sie war groß, denn ich war mir vor meiner Flucht ja nicht sicher, ob ich sie erleben würde – ging ich zuallererst auf den Dachboden, wohin meine Eltern meine Schulsachen verfrachtet hatten und ich blätterte gedankenverloren in den Büchern und Heften. Es war, als ob sich für mich ein Kreis geschlossen hätte. Ich fand damals auch Nikolaus Ber-wangers Gedichtband „letschte hopsapolka“, über den ich unmittelbar danach den Text „Dennoch die Schwerter halten“. Leseerfahrung mit Nikolaus Berwangers „letschte hopsepolka“, geschrieben habe, der zwei Jahre später in der „Banatica“ veröffentlicht wurde.
Das Interessanteste für mich waren dennoch die Notizen und Zeichnungen in meinen Heften, die in meiner Zeit in Rumänien während des Unterrichts entstanden waren. In einem Deutschheft der siebten Klasse fand ich eine Notiz, in kleiner, enger Schrift und in Kleinbuchstaben geschrieben:

was wir erwarteten waren
fingerzeige
was wir bekamen waren
zeigefinger


Der Text ließ mich innehalten. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dies geschrieben zu haben. Ich grübelte lange darüber nach und konnte nicht feststellen, ob dieser Text von mir selbst stammte oder ob ich ihn irgendwo gelesen hatte. Ich weiß es bis heute nicht. Und doch stellte er die Quintessenz meines Erlebens im kommunistischen Rumänien dar.
Erst das Buch von Walter Engel „Blickpunkt Banat. Beiträge zur rumäniendeut-schen Literatur und Kultur“ hat mir vor kurzem die Auflösung gebracht. Der Text stammt aus dem Gedichtband von Franz Storch „dem tag in die tasten“, der 1977 erschienen ist. Da ging ich in die siebte Schulklasse. Der Originaltext lautet wie folgt:

zeichen
wo fingerzeige zu erwarten wären
warten oft
nur zeigefinger


Jetzt weiß ich es endlich!Und es wundert mich keineswegs, daß es Franz Storch war, den ich sehr schätze. Ich weiß jetzt auch, daß die Notiz im Schulheft der siebten Klasse meine eigene, persönliche Interpretation des Gedichtes von Storch war.

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